Freitag, 11. Februar 2011

Mirador Killi Killi bei herrlichem Fruehlingswetter am 2. Januar

Miezi :-)


GRRRRR!

Zwischenberichte

Noch ne erfreuliche Nachricht: Ich hab die Masern!

Und hier kommen die beiden Berichte des letzten halben Jahres:

1. 1. Zwischenbericht aus La Paz

Inzwischen bin ich schon drei Monate hier in La Paz und die Zeit vergeht wie im Flug. Als ich hier ankam kam mir die Stadt so riesig und unübersichtlich vor – ich hätte niemals gedacht, dass ich mich irgendwann auskennen und zu Hause fühlen würde. Die Straßen, Gebäude, Verkehrsmittel und nicht zuletzt die Menschen und ihre Lebensweise kamen mir so fremd vor. Dass man immer wie ein Wesen von einem anderen Stern bestaunt wird hat dieses Gefühl der Fremde noch verstärkt.

Mittlerweile habe ich mich (zumindest psychisch) ganz gut an das Leben hier gewöhnt. Ich weiß welche Minibusse ich nehmen muss, wie die Preise für Lebensmittel ungefähr sind, wo ich einkaufen gehen kann, was ich an den Straßenständen essen kann und was lieber nicht und viele Dinge mehr, die man im Laufe Zeit im Alltagsleben lernt.

An was ich mich noch kaum gewöhnt habe ist die Anstrengung, die die Höhe und das andersartige bolivianische Essen mit sich bringt. Seit ich hier bin habe ich mich noch kein einziges Mal so richtig körperlich fit gefühlt. Obwohl ich mich an manchen Tagen schon recht beeinträchtig dadurch fühle, hoffe ich immer noch, dass sich das in der nächsten Zeit bessern wird.

Meine Arbeit gefällt mir inzwischen auch immer besser. Leider gab es die ersten Wochen kaum etwas für mich zu tun und weil mir von meiner coordinadora nicht erklärt wurde, was eine Voluntärin eigentlich in meinem Projekt macht, war der Einstieg für mich sehr schwierig. Mittlerweile habe ich jedoch gelernt, mir meine Aufgaben selbst zu suchen und mich zu beschäftigen. Seit einem kurzen Gespräch mit meiner Chefin gibt auch sie sich mehr Mühe.

Obwohl es am Anfang in meinem Projekt wirklich nicht einfach war, hatte ich bisher nicht einmal den Wunsch in ein anderes zu wechseln. Von Tag zu Tag wird mir bewusster, dass dies an den Menschen liegt mit denen ich arbeite.

Das Projekt „Ex-beneficiarios“ ist für diejenigen da, die ehemals in einem der Heime der Fundación Arco Iris gelebt haben. Wenn sie aufgrund ihrer Volljährigkeit aus den Heimen entlassen werden, bedeutet das nicht, dass man sie auch aus der gesamten Fundación „entlässt“. Der Schritt in die Selbstständigkeit bedeutet zwar sehr wohl, dass man den beneficiarios die Zügel für ihr Leben in die Hand gibt, aber gleichzeitig können sie weiterhin mit Unterstützung rechnen. Dafür gibt es unser Projekt, das aber erst vor kurzer Zeit ins Leben gerufen wurde. Das Ziel ist, die beneficiarios auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit zu begleiten und zu helfen, wenn sie auf Probleme stoßen, die sie alleine nicht lösen können.

Anfangs war ich recht ernüchtert, da mir das Projekt so toll und hilfreich erschien. Ich hatte mich sehr auf die Arbeit mit den jungen Leuten gefreut. Was mich die ersten anderthalb Monate dann leider erwartete, war Tee kochen, massenhaft Dokumente in der Administration abstempeln lassen und lange Listen für irgendwelche Aktivitäten abtelefonieren. Mit anderen Worten hatte ich kaum Kontakt mit den ex-beneficiarios. Ich hatte das Gefühl, dass ich das kommende Jahr nur im Büro herumsitzen und darauf warten würde, dass die Menschen zu uns kommen, damit meine Chefin ihnen bei Schwierigkeiten versuchen konnte zu helfen. Ich habe mich tagtäglich gefragt, wozu ich eigentlich hier in diesem Projekt bin und kam mir sehr nutzlos vor.

Nach einiger Zeit hatte ich das Glück, dass eine ehemalige Freiwillige aus meinem Projekt nach La Paz gereist kam. Sie hat mir sehr viel erklärt und mir Mut gemacht, sodass ich mir einiges mehr darunter vorstellen konnte, was eigentlich meine Aufgaben sind. Die Arbeit ist inzwischen abwechslungsreicher und macht oft richtig Spaß. Ich mache Hausbesuche um mir einen Einblick in die Lebenssituation der Leute zu verschaffen, unterhalte mich mit ihnen und erfahre dabei immer wieder ein Stück ihrer Vergangenheit, begleite sie zum Arzt oder ins Krankenhaus, bringe ihnen Lebensmittel, fahre mit meiner coordinadora zu ihren Arbeits- und Ausbildungsstellen oder zu allen möglichen Ämtern um Sachverhalte zu klären. Oftmals sind wir auch im Büro und die beneficiarios können uns aufsuchen. Einige kommen auch immer wieder auf eine kurze Unterhaltung vorbei.

Zwar kenne ich erst einen kleinen Teil der ca. 150 ex-beneficiarios, aber schon zu Beginn habe ich festgestellt, was für liebe Menschen die meisten von ihnen sind. Viele sind junge Mädchen und Mütter um die 20 Jahre, die Unterstützung bei der Zahlung der Miete, bei der Ernährung ihrer Kinder oder beim Schutz vor ihren Partnern benötigen. Ich staune immer wieder wie schnell die Mädchen hier erwachsen werden müssen. Eine 19-jährige beispielsweise ist mit 15 Jahren aus dem Mädchenheim abgehauen, hat mit 16 ihr erstes Kind zur Welt gebracht, welches ihr im letzten Jahr vom Jugendamt weggenommen wurde, da sie eine Zeitlang auf der Straße lebte, und hat jetzt ihren zweiten Sohn bekommen. Ihr Freund akzeptiert zwar seinen Sohn, nicht jedoch ihr erstes Kind. Außerdem wohnt jetzt auch noch ihre jüngere Schwester bei ihr und ihrem Freund, da diese in Gefahr schwebt ebenfalls auf der Straße zu landen.

Wenn ich mit diesem Mädchen rede und dabei denke, dass wir gleichalt sind, dann bewundere ich sie total – gleichzeitig tut sie mir aber auch leid. Bewunderung, da sie so jung ist und doch schon so erwachsen und verantwortungsbewusst ist. Und gerade deswegen fühle ich auch Mitleid. Ich frage mich, was sie von ihrer Jugend hat und ob sie überhaupt eine hatte. Auf der anderen Seit scheint es hier normal zu sein mit 20 Jahren schon ein bis zwei Kinder zu haben. Das merke ich auch immer wieder an den erstaunten Blicken, wenn ich antworte, dass ich noch kein Kind habe. In solchen Momenten denke ich, wie weit doch die Welten in denen wir leben voneinander entfernt sind.

Und trotzdem ist es gerade das, was mir so gut an Bolivien gefällt. Nichts ist so, wie ich es aus Deutschland kenne und ich frage mich so oft, wie ich jemandem der noch nie hier gewesen ist, erklären soll, was ich hier gesehen und erlebt habe. Obwohl wir auf den Seminaren sehr gut auf das Leben in Bolivien vorbereitet wurden, hätte ich mir niemals erträumen lassen, wie faszinierend und fesselnd dieses Land und seine Menschen für mich sind. Ich habe schon jetzt Angst, das alles irgendwann wieder hinter mir lassen zu müssen.



2. Quartalsbericht

Ein halbes Jahr bin ich jetzt schon hier. Und in einem halben Jahr werde ich bereits wieder von hier fortgehen.

Die Zeit rieselt mir wie Sand durch die Finger – so schnell wie noch nie in meinem Leben.

Seit dem letzten Bericht im Oktober ist viel passiert. Ich habe mich damals nicht getraut zu erzählen, wie es mir wirklich bei meiner Arbeit im Projekt geht. Ich dachte, dass ich den Anschein erhalten muss, ich sei zufrieden mit dem was ich mache. Doch eigentlich war das gesamte vergangene halbe Jahr das Gegenteil der Fall. Ich habe stets mitbekommen, wie wohl sich meine Mitbewohner inzwischen in ihren Projekten fühlen, wie gut sie sich eingelebt haben und aufgenommen wurden und die meisten in ihnen sehr in ihren Aufgaben aufgehen. Gleichzeitig konnte ich bei mir eine komplett gegenläufige Entwicklung beobachten.

Meine „Arbeit“ lief so gut wie jeden Tag gleich ab: Morgens um 9:00 Uhr kam ich ins Büro. Manchmal traf ich dort meine Chefin an, manchmal nicht. Oftmals wusste ich dann auch nicht, wo sie sich befand und wann sie wiederkommen würde. Wenn sie erst um die Mittagszeit wieder eintraf, vertrieb ich mir die Zeit solange mit Tee trinken, Lesen, Tagebuch- und Briefeschreiben. Anfangs fand ich das gar nicht so schlecht, da mir für solche Dinge sonst die Zeit fehlte.

Wenn meine coordinadora im Büro war, saß sie am Computer um Berichte oder Anträge zu tippen und ihre schlechte Laune an mir auszulassen. Derweil schaute ich zu und wartete, bis sie mir eine Aufgabe zukommen ließ. Die bestand zumeist darin, in die Administration zu fahren um die Papiere abstempeln zu lassen. Damit war ich dann zumindest eine Stunde beschäftigt. Es kam auch vor, dass ich gleich drei Mal am Tag geschickt wurde – drei Stunden Beschäftigung. Meine Vorschläge und Versuche, auf eigene Faust etwas auf die Beine zu stellen wurden mit vagen Ausflüchten ignoriert, nicht unterstützt oder einfach vergessen.

An manchen Tagen gab es natürlich auch was zu tun. Ab und zu machten wir Hausbesuche bei unseren beneficiarios oder versuchten, ihnen bei verschiedenen Angelegenheiten weiterzuhelfen.

Es machte mich nicht nur traurig mit anzusehen, wie desinteressiert die jungen Leute von meiner Chefin empfangen wurden und zu merken, dass in diesem – eigentlich sehr ausbaubaren und schönen – Projekt so gut wie nichts läuft. Bei so viel Zeit, die ich hatte, kam ich natürlich auch zum Nachdenken und mir wurde bewusst, was ich hier eigentlich mache. Ein Freiwilliges Soziales Jahr das unsozialer kaum sein könnte. Obwohl ich schon lange meine Erwartungen völlig zurückgeschraubt hatte, schrumpfte meine Motivation von Tag zu Tag mehr, verschwand schließlich ganz und es war mir so gut wie egal, was im Projekt passierte oder auch nicht passierte. Mir wurde gesagt, dass ein Projektwechsel kein einfaches Unternehmen sei, deshalb sagte ich mir: Das nächste halbe Jahr hältst du auch noch aus. Schließlich wusste ich, dass die Zeit schnell vergehen würde.

Ich war froh, dass ich während der Ferien einige Tage im Hospital Arco Iris arbeiten konnte. Eine willkommene Abwechslung und ein gutes Gefühl, endlich mal etwas zu tun zu haben und nicht ständig mit der eigenen Überforderung der Tatenlosigkeit kämpfen zu müssen.

Das Zwischenseminar Anfang Januar in Santa Cruz kam genau zum richtigen Zeitpunkt. In Gesprächen mit Betreuern und anderen Volontären schöpfte ich Mut um mich dagegen zu wehren, was mir passierte. Dass es sich eigentlich nicht lohnte, in Resignation zu versinken, war auch mir bewusst. Nur schwer zu realisieren.

Die beste Nachricht erreichte mich bereits am ersten Tag nach Ferienende: Meine coordinadora würde nicht länger im Projekt bleiben. Ihre Stelle wurde ausgewechselt und nun ist eine andere Sozialarbeiterin meine Chefin. Es sind erst zwei Wochen, die wir zusammen arbeiten, aber jeden Tag denke ich, dass das das Beste war, was mir passieren konnte. Ich dachte immer, es ist nur ein Sprichwort, aber in diesem Moment hab ich den riesigen Felsen gefühlt, der mir vom Herzen fiel. Endlich wird angepackt und gearbeitet. Und endlich kann ich mich nach einem halben Jahr auf meine Arbeit freuen. Leider fühlt es sich an, als würde ich ganz von vorne anfangen und ich werde das Gefühl nicht los, dass das vergangene Halbjahr in Hinsicht auf meine Arbeit im Projekt verschwendete Zeit war.

Viel fürs Leben gelernt habe ich dadurch trotzdem. Und besser spät als nie.