Samstag, 13. August 2011

4. Quartalsbericht



Die letzten Monate in meinem Projekt waren die wahrscheinlich schoensten des vergangenen Jahres. Meine neue Chefin, die im Januar als neue coordinadora im Projekt angefangen hatte, brachte eine voellig neue Stimmung mit sich, die dem Projekt sehr positive Energie verlieh. Eine Energie, die dem Projekt lange Zeit gefehlt hatte. Jeden Tag erschienen so viele der ex-beneficiari@s in unserem Buero - viele neue, aber noch mehr alte. Fuer mich war es unvorstellbar mit anzusehen wie sich mein Projekt gewandelt hatte. Wie gerne die jungen Leute zu uns kamen, wie schnell sie Vertrauen fassten, wie schnell sich die gute Arbeit meiner neuen Chefin herumsprach, sodass wir nur noch selten "besuchsfreie" Arbeitstage hatten. Meine Chefin sagte mir immer wieder: "Lena, du bist meine rechte Hand - ich brauche dich hier als meine Unterstuetzung." Es war ein gutes Gefuehl, das zu wissen.


Mitte Juni flog ich eine Woche zu meiner Gastfamilie nach Santiago de Chile, bei der ich waehrend eines Schueleraustausches vor vier Jahren einige Zeit gewohnt hatte. Das Wiedersehen war unglaublich und in dem Moment wurde mir klar, dass man sich zwar geografisch voneinander distanziert (und das nicht gerade wenig), aber dass die Menschen im Herzen stets anwesend bleiben und das auf Gegenseitigkeit beruht. Das gab mir Mut und Hoffnung auf eine Wiederkehr nach La Paz und zu all den Menschen dort, die ich so lieb gewonnen habe.


Ein paar Tage spaeter stand schon meine Verabschiedung vor der Tuer. Mein Bruder war inzwischen in La Paz angekommen, um mit mir unsere gemeinsame Reise in den Norden zu beginnen.


Die letzten beiden Arbeitstage vergingen wie im Flug - ganz alltaeglich, aber trotzdem unaufhaltsam und schnell. Ich wollte nicht, dass der letzte Tag so schnell kommen wuerde. Aber dann war abends eine kleine Abschiedsfeier meines Projekts fuer mich, die meine Chefin organisiert hatte. Es kamen nur sehr wenige der ex-beneficiarios. Obwohl ich das gewusst und mich darauf eingestellt hatte, machte es mich traurig, dass ich nicht die Moeglichkeit hatte mich von allen zu verabschieden, sie einfach alle nochmal in den Arm zu nehmen. Wann wuerde ich sie wohl wiedersehen? Ueberhaupt noch einmal? Ein bedrueckendes Gefuehl, diese Ungewissheit. Aber auch ein Ansporn bald wiederzukommen.


Am naechsten Morgen reiste ich ab.


Alles kam mir so unwirklich vor. Die letzten Tage, in denen ich mein Zimmer ausgeraeumt und meinen Rucksack gepackt hatte - einfach wieder ausziehen - genauso ploetzlich wie ich vor einem Jahr dort angekommen war. Jetzt mit dem unumgaenglichen Hintergedanke, dass schon sehr bald jemand anderes meinen Platz einnehmen wuerde. Wie meine ex-beneficiari@s sagen wuerden: "Siempre lo mismo con los voluntarios..." - immer das selbe mit den Freiwilligen.


Wenn man geht, dann sammelt sich in einem ein riesiger Gefuehlshaufen. So viele Dinge, die man noch sagen oder tun moechte, um den Zeitpunkt der Abreise hinauszuzoegern, eine so grosse Angst und Ungewissheit, was werden wird wenn man nicht mehr da ist, Traurigkeit und der unbedingte Wille zu bleiben. Gleichzeitig aber auch Freude auf zuhause, Zuversichtlichkeit, dass der Nachfolger seine Arbeit gut machen wird, der Wille wiederzukommen obwohl man noch nicht weiss, wie man das anstellen soll, Lust auf Neues die in Richtung Euphorie geht, Lust darauf seinen Kopf wieder anzustrengen, Lust auf ein Umfeld ohne unglaublich viele Bakterien und Viren, gegen die man staendig zu kaempfen hatte, Freude auf Familie und Freude, die man so lange nicht gesehen hat, Lust auf heimisches Essen, dass man schon so lange vermisst... Dieser grosse Gefuehlshaufen besteht aus noch viel mehr Dingen, die sich alle ineinander schlingen und das endgueltige Gefuehl in Worte zu fassen ist so gut wie unmoeglich und genau so fuehlt es sich an, eine Stadt zu verlassen, die einem ein Zuhause geworden ist. Man findet keine Worte dafuer. Irgendwo laß ich ein Zitat, das meinen Abschied ganz treffend beschreibt: Und wenn man die Stadt verlaesst, dann klebt das Herz noch fest.



Inzwischen bin ich durch Peru und Ecuador nach Kolumbien gereist und immer noch haengt mein Herz in Bolivien. Ich spuere das, wenn ich jede neue Stadt mit La Paz vergleiche, die Menschen mit den Bolivianern, die Landschaft des Landes mit der Boliviens... und ich merke, dass es unmoeglich ist. Warum ich dann Traenen in den Augen habe? Vielleicht aus Sehnsucht? Fernweh? Aus Freude?


Ich bin sehr dankbar dafuer, dass ich die Moeglichkeit hatte, das letzte Jahr in einem so wundervollen und vor allem einzigartigen Land verbringen zu koennen. Ich habe sehr viel fuer mein Leben gelernt und unvergessliche Erfahrungen gemacht.


Bolivien gehoert ein grosser Teil meines Herzens - wahrscheinlich fuer immer.


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